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Zentrum für Gerontologie (ZfG)

Spiritualität in der stationären Alterspflege

Forschungskooperation mit dem Diakoniewerk Neumünster

Ausgangslage und allgemeine Fragestellungen

«Spiritualität» ist unbestritten ein zentraler Faktor der Lebensqualität, der insbesondere auch im letzten Lebensabschnitt relevant wird (Hungelmann et al., 1996). Im Leitbild der Stiftung Diakoniewerk Neumünster ist unter anderem die Entwicklung zeitgemässer Formen der Spiritualität als Stiftungszweck verankert, zur Gewährleistung der Wahrnehmung und Respektierung des Menschen in seiner körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Ganzheit. Dabei wird «Spiritualität» in einem umfassenden, nicht ausschliesslich konfessionell religiösen Sinn verstanden. Die Sensibilisierung der Wahrnehmung des Pflegepersonals bezüglich spiritueller Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner bedarf zunächst einer Klärung des Begriffsverständnisses beim Pflegepersonal und der Auseinandersetzung der Pflegenden mit dem Bezug zur eigenen «Spiritualität». Um die «spirituelle Kompetenz» des Pflegepersonals zu erweitern, wurden regelmässige, professionell begleitete Teamgespräche geplant. Die Wirkung dieser Intervention auf das Pflegepersonal und indirekt auf die BewohnerInnen wurde durch das ZfG evaluiert.

Pfrn. Anemone Eglin, Stabsstelle Spiritualität im Diakoniewerk Neumünster, umschreibt Spiritualität als «Beziehung zu einem Letztgültigen, aus der ein Mensch Sinn sowie Kraft zur Gestaltung des Alltags gewinnt». Die Relevanz der spirituellen Dimension beschreibt sie in dreierlei Hinsicht:

  1. In der Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit und Tod
  2. In der Suche nach Sinn
  3. Im Erleben von Trost durch die wahrgenommene Verbundenheit mit einem Ganzen

Die folgende Begriffsdefinition verdeutlicht sinnbildlich, dass «Spiritualität» ein dynamisches, komplexes, mehrdimensionales und damit schwer erfassbares Konstrukt ist:
«Spirituality is defined as the dynamic principles developed throughout the lifespan that guide a person's view of the world; influences his or her interpretation of a higher power, hope, morals, loss, faith, love and trust; and provide structure and meaning to everyday activities. Spirituality is a rich tapestry intricately interwoven throughout life events.» (Hicks, 1999, S. 144)

Intervention: Wirkung, Zieldimensionen der Evaluation

Ab Juni 2005 fanden während eines Jahres regelmässig alle 2-3 Wochen Personal-Teamgespräche statt, begleitet durch Frau Pfrn. A. Eglin, Stabsstelle Spiritualität. Das Pilotprojekt in der Residenz Neumünster-Park, Zollikerberg, wurde im Rahmen eines quasi-experimentellen Prä-Post-Designs anhand eines Fragebogens zur Messung der spirituellen Kompetenz evaluiert.

Erwünschte Wirkungen der Intervention und Zieldimensionen der Evaluation

  • beim Pflegepersonal:
    Erkennen, Wahrnehmen und Reflektieren der spirituellen Dimension im Pflegealltag
  1. Klärung des Begriffs «Spiritualität»
  2. Reflexion der eigenen Spiritualität
  3. Sensibilisierung für die Wahrnehmung spiritueller Bedürfnisse der BewohnerInnen
  4. Erhöhte praktische Kompetenz im Umgang mit diesen Bedürfnissen
  • bei den Bewohnerinnen und Bewohnern:
    Verbesserung der Lebensqualität im spirituellen Bereich
  1. Verbessertes Sinn-Erleben / Kohärenzgefühl
  2. Bessere Unterstützung der individuellen, spirituellen Praxis
  3. Sich getrauen, spirituelle Bedürfnisse zu äussern
  4. Sich getrauen, spirituelle Themen anzusprechen und damit ernst genommen zu werden
  5. Verbesserung des Gefühls der Geborgenheit und der Zugehörigkeit 

Arbeitsschritte und Erhebungsmethoden

Stichprobe: 60 Pflegende auf 45 Stellen (schriftliche Vollerhebung)

Zwei schriftliche Befragungen (halb-standardisiert) im Juni 2005 und Juni 2006:

Mittels schriftlicher Befragung werden entlang den zentralen Dimensionen (Tod, Sinn, Verbundenheit) die Bezüge und Standpunkte der Pflegenden erhoben.

Die Interventionen werden protokolliert. Im Januar 2006 wurde im Sinne einer formativen Evaluation Zwischenbilanz gezogen und die Intervention an sich thematisiert.

Die zweite schriftliche Befragung erfolgte nach einem Jahr und richtete sich weitgehend nach der ersten Befragung, mit ergänzenden und teilweise modifizierten Fragen. Die zwei Fragebögen wurden unter Einbezug der Kurzprotokolle der Interventionen und der Befunde der Zwischenevaluation ausgewertet. Primär interessierten Hinweise auf Veränderungen beim Pflegepersonal in Bezug auf die «spirituelle Kompetenz».

Ergebnisse

Die Teamgespräche wurden im Rückblick von den Pflegenden als sehr hilfreich für den Umgang mit Sterben und Tod der BewohnerInnen, für alltägliche Pflegesituationen und für die Klärung des eigenen Spiritualitätsbegriffs beurteilt. Eine positive Wirkung zeigten die Teamgespräche auch im Hinblick auf die Erweiterung des persönlichen Spiritualitätsbegriffs, die Wahrnehmung von nicht konfessionell gebundenen spirituellen Bedürfnissen der BewohnerInnen und die Erhöhung des Gefühls der Zuständigkeit für die spirituellen Bedürfnisse der BewohnerInnen. Nach den Teamgesprächen haben zudem die spirituellen Betreuungsformen im Pflegealltag zugenommen: Die Pflegenden benutzen häufiger den Park, sie lachen mehr mit den BewohnerInnen, sie beten häufiger und umarmen und halten die BewohnerInnen öfter. Auch Rituale im Pflegealltag werden häufiger besprochen, und es wird mehr gesungen.

Die Evaluation zeigt aber auch, dass der individuelle Bezug der Pflegenden zur eigenen Spiritualität durch die Teamgespräche kaum Veränderungen erfährt und dass auch nach den Teamgesprächen eine relativ hohe Unsicherheit bezüglich der spirituellen Bedürfnisse der BewohnerInnen bestehen bleibt. Letzteres könnte damit zusammenhängen, dass spirituelle Bedürfnisse zu einem sehr intimen, persönlichen Bereich gehören, über den Aussenstehende kaum je mit Sicherheit Bescheid wissen können.

Finanzierung und Leitung

Das Projekt wurde durch Drittmittel (Diakoniewerk Neumünster) finanziert und von Claudia Roth und Susanne Zwinggi in Zusammenarbeit mit Hans Rudolf Schelling geleitet.

Laufzeit: Juni 2005 – Dezember 2006

Kontakt: s.zwinggi@zfg.uzh.ch